Auszeichnung für zentralen Motor der Integration

Metaller Lorenzo Annese erhält Bundesverdienstkreuz – Daniela gratuliert ihm im Stammwerk

10.10.2024 | Erster ausländischer Betriebsrat in Deutschland für sein Wirken vom Staatsoberhaupt geehrt

Bundespräsident Steinmeier und Lorenzo Annese in Berlin. Foto: Fessum Ghirmazion

Seit Anfang der 60er Jahre lockte das Gastarbeiter-Abkommen zwischen Deutschland und Italien tausende junge italienische Männer nach Wolfsburg. Viele blieben, holten oftmals ihre Familien nach, trugen zum Erfolg Volkswagens bei und bereicherten die Stadt. Ein Musterbeispiel dafür ist Lorenzo Annese, der bereits 1958 vor der großen Welle nach Wolfsburg kam und dort später mit seinem Wirken unter anderem als erster ausländischer Betriebsrat Deutschlands zum Wegbereiter für seine Landsleute wurde. Der überzeugte IG-Metaller erhielt dafür nun das Bundesverdienstkreuz am Bande von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Anlässlich der Ehrung lud die Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo Lorenzo nun ein, um ihm persönlich zu gratulieren.

Daniela sagte im Rahmen des Treffens: „Lorenzo ist ein Vorbild – für Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte und auch für mich persönlich. Er hat gezeigt, was mit Überzeugung, Willen und Enthusiasmus möglich ist. Als Tochter italienischer Einwanderer kenne ich die besonderen Herausforderungen der ersten Generation der damaligen Gastarbeiter aus den Erzählungen meiner Eltern. Ich freue mich, dass durch die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Lorenzo nicht nur dessen große Verdienste durch die Bundesrepublik gewürdigt werden, sondern ein Stück weit auch die Lebensleistung vieler anderer Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, um hier ihren Beitrag zu leisten.“ 

Lorenzo und die Mitbestimmung - das ist eine ganz besondere Beziehung. „Integration kann nur gelingen, wenn beide Seiten etwas dafür tun. Ich habe hier viel Unterstützung erfahren, in erster Linie von der IG Metall“, sagte der 1937 in Apulien geborene Lorenzo vor einiger Zeit bei der Vorstellung seiner Biografie „Vita da Gastarbeiter“. Der Gewerkschaft hat er dafür mindestens genauso viel zurückgegeben. So wurde er der erste ausländische Betriebsrat Deutschlands und leitete fast 30 Jahre lang den Ausländer-Ausschuss.

Als Anfang der 60er Jahre die erste große Zuwanderung italienischer Gastarbeiter nach Wolfsburg kommt, ist Lorenzo es, der sie im Auftrag Volkswagens und des Betriebsrates am Bahnhof begrüßt. Als Betriebsrat und Gewerkschafter sorgt er für die Integration seiner Landsleute im Betrieb, gleiches macht er auch außerhalb des Werksgeländes beispielsweise durch die Organisation von Veranstaltungen. Seinen Antrieb für dieses Engagement beschrieb Lorenzo einmal simpel: „Ich wollte den Menschen so weit weg vom sonnigen Zuhause etwas Wärme geben. Als die Migration begann, war alles im Prinzip Improvisation. Man hatte gar nicht bedacht, dass es nicht nur Arbeitskräfte sind, sondern dahinter Menschen stecken.“

Er selbst hatte den schweren Weg der Migration da schon vor einigen Jahren angetreten. Geboren 1937 in dem Dorf Alberobello, verlebte Lorenzo Annese eine entbehrungsreiche, von schwerer Arbeit geprägte Jugend als Landarbeiter in einer bitterarmen Gegend Apuliens. 1958, mit 21 Jahren, geht er auf der Suche nach der Perspektive, die ihm der Krieg geraubt hatte, nach Deutschland – ein italienischer „Gastarbeiter“ der ersten Stunde. In Bokensdorf bei Wolfsburg findet er eine neue Welt voller Möglichkeiten und die Liebe seines Lebens, seine Frau Frieda.

Zunächst führt ihn der Weg allerdings nicht zu Volkswagen. Lorenzo schuftet in Fallersleben, schleppt dort Bimssteine. Stets in Sichtweite: Die vier Türme des VW-Kraftwerks, auf die Lorenzo seinen Blick richtet. Wie er schließlich nach unzähligen unbeantworteten Bewerbungen zu Volkswagen kommt, ist eine legendäre Geschichte: Im August 1961 hatte er seinen Traum beinahe schon aufgeben und unternahm einen letzten, verzweifelten Versuch. Er schmuggelt sich in eine Gruppe für Werksführungen, setzt sich von ihr ab und geht schnurstracks zum Büro des Personalvorstands. Soviel Eigeninitiative und Hartnäckigkeit wird belohnt und Lorenzo verwirklicht doch noch seinen Traum - und wird schließlich schon wenige Jahre später zum ersten ausländischen Betriebsrat der Bundesrepublik.

Das Werk als Arbeitsplatz wird Lorenzo bis zu seiner Rente nicht mehr verlassen. Und sein Engagement für die Gewerkschaft und die Integration reicht bis heute fort. Der Bundesverdienstorden hat einen würdigen Besitzer gefunden - und ausgezeichnet wird damit auch ein Stück Geschichte der Mitbestimmung und IG-Metall-Gewerkschaftsarbeit bei VW.

Nach dem Besuch sagte Daniela: “Lorenzo hat in seiner Zeit im Betriebsrat einige Krisen erlebt und mit zu meistern geholfen. Daher war bei unserem Gespräch heute natürlich auch die aktuelle Situation das große Thema. Lorenzo hat uns Mut zugesprochen. Er ist zuversichtlich, dass wir als Belegschaft weiterhin zusammenstehen und auch diese Krise meistern. Und er hat gescherzt zum Schluss: Wenn wir ihn brauchen, kommt er mit der Trillerpfeife vorbei.”

Einen Bericht zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes mit Informationen zu allen Ordensträgern finden Interessierte auf der Website des Bundespräsidenten.

Weitergehende Informationen zu den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland finden sich hier.

Und Zahlen und Fakten zu den Anwerbeabkommen für die sogenannten Gastarbeiter stehen hier bei der Bundeszentrale für Politische Bildung. Dort ist unter anderem Folgendes zu erfahren: "Nach einer Erhebung des europäischen Statistikamtes ist Deutschland mit deutlichem Abstand das Land mit dem höchsten Anteil italienischer Zuwanderung innerhalb der Europäischen Union. 2019 lag die Zahl italienischstämmiger Bürgerinnen und Bürger in Deutschland laut Statistischem Bundesamt bei rund 873.000, die Zahl derer, die mit italienischer Staatsangehörigkeit in Deutschland leben, bei rund 646.000."

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